Bettina Streit

2.6.2015

Der Weg zum smarten Zuhause

Inzwischen tummelt sich eine fast schon unüberschaubare Anzahl von Anbietern von Smart Home Technologie auf dem Markt, der im Moment etwa 20 Mrd. schwer ist. Immerhin verwendet  jeder Siebte in Deutschland angeblich Smart Home Anwendungen. Der Markt wächst um 17% jährlich. Aber jeder Vierte findet die Bedienung zu kompliziert, wohl gemerkt auch Menschen, die selbst gar keine Smart Home Technologie nutzen. Grund genug für uns, das Thema User Experience im Smart Home einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dass sich dieses Thema nicht nur auf Smart Home Apps beschränken lässt, sondern ganzheitlicher betrachtet werden muss, wird klar, wenn Anbieter von Smart Home Technologie mit Use Cases wie „das Licht per Smart Phone ein- und auszuschalten“ werben.

Um ein Licht zu schalten müsste der Nutzer erst den Lockscreen entsperren, die App suchen, öffnen, die Lampe, die er einschalten will, finden, und einschalten . Deutlich komplizierter als einfach einen Lichtschalter zu betätigen.

Wow. Bis zu 6 Schritte bis das Licht an ist.

Um Licht ins Dunkel zu bringen und verlässlich Optimierungspotential für das Nutzererlebnis im Smart Home aufzudecken, haben wir uns für den Rapid Contextual Design (RCD) Prozess entschieden.

Wo drückt Bewohnern von smarten und weniger smarten Heimen eigentlich der Schuh?
Ist es wirklich der Lichtschalter?

2015: Smart ist, wenn die Konfiguration einfach ist!

Wir führten qualitative Kontextnterviews zu Hause bei den Nutzern durch – teilweise mit Besitzern von Smart Homes in vollster Ausprägung, teilweise mit Bewohnern, die bestimmte Probleme mit Insellösungen behoben haben und anderen, die über keinerlei Smart Home Technologie verfügen. Nachdem wir die Aussagen in einem Affinity Diagramm strukturiert hatten, sahen wir einige allgemein bekannte Annahmen bestätigt. Anderes hat uns aber auch überrascht.

  • Die Befragten legen durchgehend viel Wert auf Atmosphäre, in der sie sich wohlfühlen. Licht, Temperatur, Luftqualität, Musik sind neben Geborgenheit die wichtigsten Parameter.
  • Unter den klassischen Themen Komfort, Sicherheit und Energie sparen, hat sich das Thema Komfort als das wichtigste herauskristallisiert.
    Das Thema Sicherheit wird sehr unterschiedlich bewertet, vor allem bedingt durch die Wohnsituation. Energieeinsparung ist ein Thema, wobei Bewohner von Bestandsimmobilien keine Optimierungsmöglichkeiten ohne größere Umbaumaßnahmen sahen, weshalb auch die Überwachung von Verbrauchsdaten, die oft angeboten wird, als überflüssig empfunden wird.
  • Überraschend war, dass Automatisierung sehr skeptisch gesehen wird: Gründe sind, dass aktuelle Lösungen nicht richtig funktionieren. Menschen haben Angst die Kontrolle zu verlieren. Und es gibt Tätigkeiten, die man sich nicht aus der Hand nehmen lassen will, da man sie gerne macht.
  • Es wurde auch klar, dass die Steuerung von Licht, Jalousien, Lüftung und ähnlichem so direkt wie möglich funktionieren soll: Das heißt, die Jalousie sollte nicht nur über das Inhouse-Display irgendwo im Flur gesteuert werden können, sondern über einen Taster direkt neben dem Fenster und damit einen klaren örtlichen Bezug haben. Und die Schaltung muss verzögerungsfrei funktionieren.
  • Bewohner, die bereits über Smart Home Technologie verfügen, die eine flexible Verknüpfung von Schaltern und Sensoren erlaubt, haben die Konfiguration als extrem umständlich beschrieben. Deshalb wurden die Einstellungen auch nur einmal vorgenommen und später nie wieder verändert. Und dies obwohl große Unzufriedenheit mit der aktuellen Konfiguration herrschte. Man hat sich lieber mit dem Status Quo arrangiert.
  • Weiter stellt es für die Benutzer eine große Herausforderung dar, sich selbst sinnvolle Automatisierungsregeln auszudenken, die sich im Alltag tatsächlich bewähren. Das Leben läuft nur zu einem kleinen Teil vollkommen regelmäßig ab und lässt sich deshalb nur schwer in ausnahmslos gültigen Szenarien abbilden. Umso lästiger ist es, wenn man abends auf der Terrasse sitzt und bei einsetzender Dämmerung die Jalousien herunter fahren und man nicht mehr ins Haus zurück kommt <lol>.

Daher sehen wir das größte Optimierungspotential  – vom heutigen Stand der Technik ausgehend – bei der  Konfiguration von Schaltern und Automatisierungsregeln.

Beispiel für unser Tablet User Interface, das das Anlegen von Automatisierungsregeln sehr einfach macht.

Was ist in Zukunft möglich?

Aber selbst, wenn die Konfiguration auf die oben beschriebene Weise vereinfacht wird, stellt sich die Frage, ob das ein wirklich großer Sprung in punkto Komfort ist.

Deshalb sind wir noch einen Schritt weiter gegangen und haben durch ein sog. „Visioning“ weitere Möglichkeiten ausgelotet, die in Zukunft noch mehr Komfort versprechen. Als Maßgabe für die technische Machbarkeit haben wir uns in das Jahr 2025 versetzt.

Unsere dabei gefundenen Lösungsmöglichkeiten sind der Idee nach nicht vollkommen neu. Aber sie sind ausschließlich auf Basis echter Nutzeranforderungen entstanden, was gewährleistet, dass dafür auch ein tatsächlicher Bedarf besteht.

2025: Nur selbstlernend ist wirklich smart!

Die Idee mit dem meisten Potential – wie wir finden – ist ein selbstlernendes System, das Automatisierungsregeln selbst erstellt. Es muss in der Lage sein, wiederkehrende Benutzeraktionen (z.B. Rolladen hoch) in Verbindung mit einer bestimmten Situation vorherzusagen und die Aktion automatisch ausführen.

Dies wäre ein wirklicher Komfortgewinn und löst einen Großteil der Probleme im Bereich Steuerung. Situationen können sich  aus Parametern wie Helligkeit, Tageszeit, Wochentag, Anwesenheit, Bewegung, ggf. Temperatur, Jahreszeit, vegetative Signale des Menschen uvm. zusammensetzen. Das Regelwerk könnte ungleich komplexer und damit in der Lage sein, die Manigfaltigkeit menschlichen Lebens zu beschreiben. Es setzt natürlich eine gewisse Bereitschaft des Benutzers voraus, dem System zu vertrauen und es beim Lernen zu unterstützen.

Auch in diesem Szenario behält unserer Meinung nach der Lichtschalter weiterhin seine Notwendigkeit, auch wenn sich seine Bedeutung ändert. Einerseits kann es immer vorkommen, dass ein Bewohner plötzlich doch ein anderes Bedürfnis hat, als das System es vorhersagt. Und er muss immer die Möglichkeit haben einzugreifen, um sich nicht entmachtet zu fühlen. Andererseits wird der Lichtschalter zum Kommunikationsmedium mit dem selbstlernenden System. Der Benutzer teilt darüber seine Bedürfnisse mit.

Beispiel für ein Storyboard eines Schlafzimmer Szenarios und die Werte, die dort über Sensoren an verschiedenen Tagen aufgezeicht werden. Die Grundlage für selbstlernende Systeme.

Bettina & Josef

Mehr zum Thema:

Bettina Streit

Geschäftsführerin & Usability Engineer

bs@coeno.com

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