Als UX-Experten sollen wir bei coeno natürlich stets eine Lösung liefern, und nicht selten werden wir schon in der frühen Phase eines Projektes gebeten, eine mögliche Lösung zu begründen. Das folgt einem Missverständnis, das ich auch in Designerblogs und -magazinen immer wieder finde, nämlich dem Wunsch, „die zehn Gebote für UX-Entwicklung“ formulieren zu können, also eine Art „UX-Weltformel“, die auf alle Projekte anwendbar ist.
Diese Formel gibt es (leider) nicht. Im Gegenteil: Am Reißbrett erdachte, allzu formalisierte Designs, Features und Funktionen bringen stets das Risiko mit sich, die User Experience zu verschlechtern. Positive User Experience entsteht ganz im Gegensatz nur durch eine fallweise Abbildung der konkreten Nutzerwünsche im Rahmen eines Usability-Engineering-Prozesses. Wichtiger als ein starres Regelwerk, wie etwas auszusehen hat (Kacheln, 3D, whatever …), ist daher die ständige Befragung des Nutzers und seiner Bedürfnisse.
Nutzer erwarten etwas – bloß was?
Wir alle kennen Geräte, mit denen Mediendateien verwaltet und wiedergegeben werden können. Als UXler sucht man dabei stets nach einer idealen Lösung zur möglichst flexiblen Organisation dieser Dateien. Zur IFA 2013 entwickelten wir unter anderem ein User Interface für das Referenzdesign eines universellen Media-Gateways von Intel, und auch hier ergab sich diese Frage.
Klar, man hätte sich etwas ausdenken können, irgendwelche goldenen Regeln befolgen, wie angeblich etwas auszusehen hat. Und vielleicht wären sie in bestimmten Fällen sogar richtig gewesen. Doch stattdessen griffen wir auf die Ergebnisse von Kontextinterviews mit echten Benutzern zurück. Dabei hatten wir nicht gefragt „Wie sollen wir Deine Medien organisierbar machen?“. Sondern maximal ergebnisoffen: „Wie machst Du das eigentlich so, wenn Du mit Deinen Mediendateien hantierst?“
Die vermeintlich einfache Antwort:
Ich ordne meine Dateien in Ordnern und verwende keine spezielle Software, die eine zusätzliche Ordnung erzeugt.
Das also ist im Fall eines Medienplayers eine mögliche Lösung des Wie-kann-ich-meine-Dateien-ordnen Problems des Users. Dabei klingt es so simpel, dass es eigentlich gar nicht der Rede wert ist. Schaut man sich aber mal bekannte Geräte näher an, wird man sehen, dass Ordner nicht das Ordnungskriterium der Wahl sind. Stattdessen befolgen sie irgendwelche Regeln, oft auch UI-Modeerscheinungen und zwingen dem Nutzer ein anderes Schema auf. Viele Nutzer wird das enttäuschen, Ihre Erwartungen werden nicht getroffen und es entsteht Frust – das Gegenteil einer positiven User Experience.
Was also macht man mit der jetzt bekannten Erwartung, dass Dateien über Ordner verwaltet werden? Im Lingo des Usability Engineering spricht man hier von einem Erfordernis:
Der Medienverwalter muss Ordner verfügbar haben, um Dateien damit verwalten zu können.
Daraus leiten wir dann eine konkrete Nutzungsanforderung ab, etwas das der Nutzer mit Hilfe des Systems tun können muss:
Der Nutzer muss Ordner anlegen, übertragen, umbenennen, löschen … usw. können.
Eine gute UX entsteht eben nicht aus einem Set von Regeln. Positive User Experience entsteht, wenn das Interface die Erwartungen des Benutzers erfüllt. Wenn er genau das machen kann, was er will. Und wenn ihm das dann auch noch Spaß macht. Wenn es also überhaupt Regeln gibt, dann stellt die der Nutzer auf. Indirekt. Indem er uns sagt, wie er ein solches Produkt nutzen würde – in der konkreten Nutzungssituation, im Kontext seines konkreten Nutzungsanlasses.