Es lag seit über einem Dreiviertel Jahr auf meinem Schreibtisch: Das Buch „The Best Interface Is No Interface“ von Golden Krishna. Seines Zeichens UX Designer, der bei Cooper für Startups und Fortune 50 Unternehmen, für Samsung in der Research & Development Abteilung und aktuell bei Google arbeitet. Der Titel des Buches verhieß nichts Gutes, schließlich sind Interfaces unser täglich Brot in der coeno und jetzt kommt Herr Krishna hier um die Ecke und meint, uns das jetzt wegnehmen zu wollen? Ich begann das gut 240 Seiten starke Buch also mit gemischten Gefühlen, die sich aber nahezu in Gänze auflösten.
Das Buch, das mit einem schlichten weißen Einband mit Prägedruck daherkommt (der Designer in mir ist entzückt), basiert auf dem gleichnamigen, halbstündigen Vortrag den Golden Krishna 2013 auf der „South by Southwest“ Konferenz in Texas hielt. In diesem Vortrag erklärt er, dass die aktuelle Situation in der Technologie- bzw. UX-Gemeinschaft eine vertrackte ist. Ein Großteil der Industrie ist dem sogenannten „Screen-based thinking“ verfallen. Also einer Denkweise, die jegliche Probleme mit Hilfe von Bildschirmen und Apps lösen möchte. Dies führt zu Youtubevideos auf Ofentüren, Twitterfeeds im Autocockpit oder ganz aktuell Touchscreens auf Weinflaschen. Doch das wohl beeindruckendste Beispiel für seine Beobachtung ist eine App, die mir helfen soll meine Autotür zu Öffnen. An sich nichts weltbewegendes und wir haben bestimmt alle schon einmal Apps der großen Autohersteller gesehen oder verwendet. Doch Krishna geht einen Schritt zurück und betrachtet die einzelnen Schritte die benötigt werden das Ziel – die Autotüre aufzusperren – zu erreichen. Das Ergebnis ist gelinde gesagt erschreckend (Spoileralert: es sind 12 einzelne Schritte!). Er führt jedoch auch ein Gegenbeispiel an, die Keyless-Go Technologie von Mercedes-Benz, die erkennt, wenn sich der Autofahrer mit dem Schlüssel nähert und die Türe automatisch öffnet und das gänzlich ohne Bildschirm. Folglich ist eine seiner Thesen, dass man nicht Bildschirme, sondern typische Prozesse mit offenen Armen begrüßen soll.
Dies ist für uns als ausgebildete Usability Engineers kein Fremdwort und so oft es uns möglich ist, beziehen wir den Nutzer in unsere Recherche ein oder beobachten ebenjene typische Prozesse in Usabilitytests und Feldstudien.
Krishna bringt jedoch noch eine weitere These ins Spiel: Wir sind Sklaven von Computern. „Das Passwort muss 8 Zeichen haben und mindestens eine Zahl und ein Satzzeichen“ – „Natürlich gerne oh‘ großer Computer!“
Das aber unsere Computer und Smartphones täglich intelligenter werden, minütlich schneller Informationen verarbeiten können und durch Sensoren sekündlich mehr Daten erfassen können, wird von uns kaum genutzt. Krishna schlägt vor, die immense Leistung von Computern und Sensoren zu verwenden, um uns tatsächlich Arbeit abzunehmen und das Leben zu erleichtern. Oder wie es im Buch steht: „Fuck Dropdowns. It’s Time to teach our powerful machines to sense the world more like we do.“ Dies wird natürlich mit einigen Beispielen belegt, sowohl im Vortrag als auch im Buch und man möchte sofort loslegen, Sensorik und künstliche Intelligenz auf die eigenen täglichen Probleme loslzulassen.
Doch wo wir gerade bei eigenen Problemen sind: Krishna meint und ich denke, man kann ihm da vollends zustimmen, jeder von uns ist individuell, mit eigenen Problemen, Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen – eine kleine Blume auf der großen Wiese der Welt. Warum also Problemlösungen entwickeln, die nahezu komplett generisch sind und in keinster Weise auf den Einzelnen eingehen? Genau dies ist Krishnas letzte Große These: Die Problemlösung muss sich an die Individualität des Nutzers anpassen. Gelinde gesagt, ist das natürlich der schwierigste Part, doch in Zeiten von Big Data und der allgemeinen Offenheit von Nutzern ihre Daten zu teilen (sofern sie dafür ein besseres Produkt zurückbekommen – Hallo Googlemail und Konsorten), sollte auch das zu schaffen sein.
Im Großen und Ganzen kann man wohl sagen, dass die Ideen, die Golden Krishna in seinem Vortrag anbringt, natürlich für sich gesehen allesamt nicht wirklich neu sind. Jedoch in dieser Kombination und vor allem in dieser Radikalität, noch nie so klar formuliert waren und hoffentlich zu einem Umdenken in der ganzen Industrie führen. Somit kann ich jedem empfehlen die etwas über 30min. zu investieren und sich das Video zum Vortrag anzuschauen. Das Buch dient zu einer Vertiefung mancher Punkte und bringt vor allem noch weitere Positiv- wie Negativbeispiele mit sich, kann aber mit der Präzision des Vortrages nicht mithalten. Dennoch genoß ich es, das überaus schick gestaltete Buch zu lesen, was vor allem an der Kurzweiligkeit und an Krishnas Schreibstil liegt, der so leicht und locker daherkommt, als ob man sich mit Kollegen bei einem Feierabendbier über die neusten Trends im Business unterhält. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses Bier nicht aus einer Zapfanlage mit Display kam.
Der Vortrag: https://www.youtube.com/watch?v=iFL4eR1pqMQ
Das Buch auf Amazon.de: http://www.amazon.de/dp/B00T0ER57I