TV-gerechter Content first!

Bettina Streit

10.2.2017

App-Stores auf dem Smart-Fernseher müssen dem Medium TV gerecht werden

Smart-TVs bieten mittlerweile an stattliches Angebot an nicht-linearen Inhalten. Die Präsentation von TV-Apps auf dem Fernsehgerät hat allerdings noch Optimierungspotenzial.

Ich wünsche mir einen neuen Ansatz, der mit Bewegtbild zur Nutzung von TV-Apps inspiriert.

Der Nutzer sollte intuitiv zu für ihn spannenden Inhalten geführt werden – und nicht über Kacheln mit Namen von Unternehmen oder Marken, die er nicht kennt und unter denen er sich nichts vorstellen kann. Genau genommen ist der Aufbau auf Basis von Kacheln vollkommen unzureichend.

TV-App-Stores nehmen keine Rücksicht auf den Fernsehzuschauer

Auf unseren mobilen Endgeräten hat sich das Prinzip des App-Stores mit seinen Kachel-Icons etabliert. Wir nutzen die angebotenen Apps und wissen in der Regel, wie wir sie auf dem Tablet oder Smartphone finden, herunterladen und ausprobieren können.

Auch die App-Stores auf dem Fernsehgerät greifen auf das Konzept der Mobile-Apps zurück und überführen es auf den Fernsehbildschirm, und zwar herstellerunabhängig. Der Zugriff auf TV-Apps ist allerdings nicht ganz so einfach wie auf den mobilen Devices, denn ein Fernseher lässt sich nicht per Touch-Eingabe bedienen. Die Hürde, die der Nutzer überwinden muss, um auf eine TV-App zuzugreifen, ist also deutlich höher.
Vom ihm wird erwartet, dass er wie auf einem Mobilgerät vorgeht, um eine App herunterzuladen. Die angezeigte App-Kachel ist aber in der Regel wenig aussagefähig. Der Nutzer kauft also quasi die Katze im Sack und muss sich dann mühsam mit der Installation plagen, bevor er überhaupt sieht, was hinter der App steckt. Zudem ist die Präsentation über die Kachel-Icons nicht mediengerecht. TV ist ein Bewegtbild-Medium, und so sollten Angebote auch als Bewegtbild kommuniziert werden.

Anbieter von TV-Apps müssen sich Gedanken über die Präsentation ihrer Apps in App-Stores machen

TV-App-Stores machen es dem potenziellen App-Nutzer nicht leicht, weil sie sich nicht – wie vom Fernseher gewohnt – ganz einfach bedienen lassen. Wer seinen Fernseher anschaltet, erwartet, dass er Bewegtbild serviert bekommt. Für den Nutzer wäre es folglich sehr viel einfacher, wenn er über Bewegtbild angesprochen wird. Er will bewegte Bilder konsumieren und nicht in App-Stores suchen, um diese zu finden.

Und hier taucht das nächste Problem auf: Es gibt immer mehr TV-Apps mit relevanten Inhalten, aber der Nutzer weiß nicht, was ihn erwartet, wenn er eine App-Kachel gezeigt bekommt. Was stelle ich mir vor, wenn ich eine App mit einem AUDI-Logo sehe? Was bekomme ich da? Wer keine Vorstellung davon hat, was hinter einem Angebot steckt, für den wird am TV-Gerät die Hürde, diese App zu installieren, noch höher. Eine bekannte Marke wie AUDI weckt vielleicht noch Vorstellungen – wahrscheinlich bekomme ich Filme zu Fahrzeugen gezeigt.

Aber es gibt genügend Anbieter und Inhalte, unter denen sich niemand etwas Konkretes vorstellen kann. Was erwartet mich zum Beispiel in der App der deutschen Philharmoniker, in der von DJI, AMPYA oder Neff? Es gibt fantastische Inhalte, die sich hinter einem nicht aussagekräftigen Logo verbergen. Ich weiß nicht, welche Art Content ich bekomme, bevor ich die App installiere. Und das hält viele Nutzer davon ab, sich mit TV-Apps zu beschäftigen.

Erste Ansätze für neue Wege sind durchaus da. So weist Samsung auf allen Smart TVs ab 2016 die Richtung. Wenn man den Smart Hub öffnet, erscheinen überlagernde Bewegtbilder. Der Nutzer sieht eine Reihe von vorinstallierten Apps, und wenn er den Fokus auf eine bestimmte App setzt, werden darüber bereits bewegte Bilder eingeblendet.

Samsung Smart Hub

Aber auch hier gibt es noch Nachholbedarf. Beim Aufrufen des App-Stores erscheinen gerade einmal sieben Apps. Dabei handelt es sich durchweg um große Marken wie maxdome oder Netflix, die für diese Position bezahlt haben. Eine weniger bekannte Marke, die tolle Inhalte bietet, wird in diesem Bereich erst gar nicht erscheinen. Sie taucht erst auf, wenn der Nutzer den App-Store tiefer erkundet – und auch wieder nur als Kachel ohne Bewegtbild. Es ist jammerschade, dass sich diese Anbieter so nur mager präsentieren können.

Im Grunde genommen müsste es genau andersherum laufen: Die Aufmerksamkeit für eine App sollte über den Content geweckt werden, und nicht über ein nichts-sagendes App-Logo.

Spezielle Herausforderungen bei der Präsentation von TV-Apps in App-Stores

Für Marken gilt: sie sind nicht sichtbar, wenn sie unter der „Oberhoheit“ der Kacheln stecken. Nur die prominentesten Brands werden gefeatured. Und Kacheln machen wie bereits gesagt keinerlei Aussage zu den Inhalten.

Fernsehzuschauer erwarten natürlich Entertainment-Inhalte, Live-Fernsehen, Video on Demand, etc. – und sie erwarten, diese Inhalte auch in TV-App-Stores zu finden. Dass dort aber auch andere und vor allem kostenlose Inhalte angeboten werden, wissen sie nicht. Von sensationellen Überflugbildern des Drohnenherstellers DJI aus aller Welt bis hin zu Spitzeninhalten von Mercedes oder AUDI zu neuen Fahrzeugen, die – wenn sie denn gefunden werden – auch angeschaut werden, obwohl es sich um reine Werbung handelt. Gut gemachte Inhalte schaue ich mir an, wenn sie meinen Interessen entsprechen. Studien zeigen, dass die Zuschauer diese Angebote mit einer Verweildauer bis zu einer Stunde konsumieren.

Aber der Fernseher ist ein Medium, bei dem ich mich überwinden muss, um nach Inhalten zu suchen. Denn eigentlich will ich diese geliefert bekommen: Lean back, anschalten und durch die Kanäle zappen. Mittlerweile haben die Nutzer gelernt, dass ihr Puschenkino auch Inhalte auf Abruf bietet. Doch man macht es ihnen nicht leicht, auf diese Inhalte zuzugreifen.

Das ideale Szenario sieht so aus: Ich bekomme auf dem TV-Gerät Inhalte aus den unterschiedlichsten Quellen angeboten, die mir die Angebote schmackhaft machen. Zum Beispiel von AUDI, weil ich mich für Autos interessiere, oder Konzerte von den deutschen Philharmonikern, oder Überflugbilder aus Tibet, die ich sonst nie zu sehen bekäme – jede Menge Content, der mich interessieren könnte. Der Küchengerätehersteller Neff bietet zum Beispiel eine App, über die ich diese Geräte in der Bedienung erlebe, angereichert mit professionell gemachten Koch-Shows. Inhalte also, die sich ein großes Publikum im linearen TV sowieso ansieht und die ich mir gezielt hinzuholen kann.

Derartige Inhalte sprechen viele Nutzer an, aber sie müssen sie erst finden. Sie bekommen sie nicht dargereicht. Sie werden nicht dazu animiert, dass sie solche Inhalte auch konsumieren könnten. Hier muss sich noch einiges ändern.

Aspekte und Richtlinien für TV-Apps in App-Stores

Unter dem Gesichtspunkt der Usability und User Experience gelten auch für TV-Apps die bewährten Regeln: Je einfacher sich eine App bedienen lässt und je schneller man an die Inhalte kommt, umso eher wird sie genutzt. Wenn sie auch noch gut aussieht und mir die Inhalte dem Medium gerecht präsentiert, dann steigt die Chance, dass ich sie installiere. Die Usability- und UX-Methoden, die wir für alle Devices anwenden, gelten also auch auf dem TV-Gerät.

Aber in erster Linie geht es hier weniger um UI-Themen, sondern um UX. Also darum, die Bedürfnisse der Nutzer zu befriedigen und das wichtigste Bedürfnis am TV ist unbestritten „Content First“. Inhalt spielt die Hauptrolle. Ich schalte mein Fernsehgerät ein, um Inhalte zu konsumieren. Und diese müssen in den Vordergrund gestellt werden. Nicht das Firmenlogo, sondern der Inhalt, der dahintersteckt. Und zwar als Bewegtbild, also nicht als Still oder Foto, sondern wirklich bewegt.

Samsung erprobt noch einen weiteren neuen Weg, um den Apps in seinem App-Store einen besseren Kommunikationsweg zu verschaffen. Auf Samsung-Geräten erscheint beim Öffnen des App-Stores die Brandworld-Kachel stets auf dem ersten Bildschirm.
Dort findet der Nutzer eine vorinstallierte Auswahl von Apps renommierter Marken und interessanter Branchen, darunter die Mediatheken verschiedener Sendeanstalten, aber auch weitere Angebote wie von AUDI, Mercedes, DJI oder dem Doku-Sender Tierwelt live.
Marken können sich einkaufen, um dort dargestellt zu werden. Wenn ich Apps in meine Favoriten lege, werden sie dort auch mit Inhalten präsentiert – allerdings als Still und Text. Das ist nicht ideal für das Medium TV, aber ein erster Schritt auf dem Weg zu einer nutzergerechteren Darstellung.

Samsung Brandworld Home

Samsung Brandworld MyTV

Um dem Medium TV gerecht zu werden, muss man sich letztendlich vom Konzept der Marken-Kacheln verabschieden. Vorstellbar sind Playlists, die mir die angebotenen Inhalte zeigen und mich so inspirieren, die App zu installieren. Mit der neuen Generation von UHD TV-Geräten ist das rein technisch gesehen kein Problem.

coeno Playlists Beispiel

Wo die Anbieter von TV-App-Stores gefordert sind

Die Hersteller von TV-Geräten denken aus der Technologieperspektive. Sie setzen um, was technisch möglich ist, kümmern sich aber leider immer noch zu wenig darum, ob der Nutzer die Anwendung bedienen kann oder bedienen möchte.

Ein gutes Beispiel ist die 3D-Technologie für den Fernseher, die mit aller Macht in den Markt gedrückt wurde. 3D wurde vor ein paar Jahren auf allen Leitmessen der Branche als neues Key Feature für TV-Geräte bejubelt. Die Verbraucher haben allerdings nicht angebissen. Es ist einfach zu nervig, mit einer 3D-Brille zuhause vor dem Fernseher zu sitzen.

Nun muss ein Technologievorsprung natürlich auch kommuniziert werden, damit Anbieter darauf eingehen und Inhalte zur Verfügung stellen. Der Weg in den Massenmarkt erfolgt zeitverzögert und eher langsam. Die ersten Ultra-HD-Geräte (4K) wurden bereits 2013 vorgestellt. Jetzt entdecken die Kunden die Ultra-HD-Fernseher, aber es gibt noch kaum Inhalte dafür.

Gefordert sind allerdings nicht nur die Hersteller von Fernsehgeräten, sondern sämtliche Anbieter wie Vodafone, Kabel Deutschland, Unitiymedia & Co. Auch sie stellen TV-App-Stores zur Verfügung. Sie müssen sich ebenfalls Gedanken darüber machen, wie sie Inhalte anbieten, und das tun sie (noch) nicht. Sie adaptieren ein Mobile-Konzept und gehen davon aus, dass Nutzer, die wissen, wie Mobile funktioniert, die App auch auf dem Fernseher so bedienen wollen. Das ist ein Irrtum!

Dabei entgeht allen Marktteilnehmern eine Riesenzielgruppe, denn der Anteil der Mobile-fitten TV-Nutzer ist im Verhältnis zur Masse der Fernsehschauenden noch eher gering. Wenn Apps und Inhalte TV-gerecht aufbereitet würden, dann würde das Verständnis dafür, dass es auch andere als lineare TV-Inhalte gibt, eher ins Bewusstsein dringen – gerade bei Menschen, die nicht komplett digitalisiert sind, zum Beispiel ältere Zielgruppen.

User Experience für TV heißt Bewegtbild

Die grundsätzliche Erwartung des Nutzers lautet: „Am TV bekomme ich Bewegtbild gezeigt“. Und diese muss erfüllt werden

Es spielt dabei keine Rolle, welche Quelle diesen Inhalt liefert, ob Live TV, VoD, etwas selbst Aufgenommenes oder Content aus einer Smart-TV-App – ich will Bewegtbild-Inhalt sehen. Und ich möchte ihn möglichst einfach erreichen können. Ich will nicht suchen und finden müssen, bevor ich mir etwas anschauen kann. Ich will einen guten Film anschauen, mich über ein neues Auto informieren, schöne Bilder mit Dokumentarcharakter über ein Land sehen, in das ich reisen will. Dann wird mir die Erwartung, die ich an das TV-Gerät habe, auch erfüllt. Und dann werden auch mehr nicht-lineare Angebote genutzt.

Drei Kernforderungen für einen TV-App-gerechten App-Store

  • Content First: Stellen Sie Bewegtbild-Inhalte bereit, die den Nutzer inspirieren und so in die Apps überführen.
  • Erleichtern Sie die Anwendung: TV-Apps sollten sich einfach, intuitiv und medienangepasst (mit der Fernbedienung) und ohne kognitiven Aufwand nutzen lassen – in jeder Altersstufe und von jedem Menschen.
  • Denken Sie mehr aus Nutzersicht: Nicht alles, was technisch machbar ist, kommt auch beim Anwender gut an.

Bettina Streit

Geschäftsführerin & Usability Engineer

bs@coeno.com

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