Wenn du bereits einen unserer anderen Artikel zum Vergleich von Netflix, Amazon Prime Video und Disney+ gelesen hast, überspring gerne die folgende Einleitung und lese direkt beim Abschnitt “Steuerbarkeit” weiter.
Die drei etablierten Video-on-Demand (VoD) Anbieter Netflix, Amazon Prime Video und Disney+ versprechen im Grunde alle das Gleiche: Schaue zu jeder Zeit, was dir am besten gefällt. Und doch ist die Umsetzung in den Details und damit der Erfolg der Anbieter unterschiedlich. Derzeit liegt Netflix mit ca. 208 Millionen Abonnent:innen weltweit an der Spitze, gefolgt von Amazon Prime Video mit starkem Wachstum in 2020 und inzwischen etwa 150 Millionen Abonnent:innen. Noch relativ neu am Markt zählt der Anbieter Disney+ weltweit 100 Millionen Abonnent:innen (Stand 24.06.2021).
Sagen die Zahlen der Abonnent:innen etwas über die User Experience mit dem Produkt aus? Wieso gefällt uns Netflix besser als Amazon Prime Video oder andersherum? Liegt das ausschließlich an den angebotenen Inhalten? Gibt es konkrete Dinge oder ist es einfach das große Ganze, das bei einem Anbieter mehr überzeugt als beim anderen? In einer kleinen Studie haben wir untersucht, wie Nutzer:innen die UX von Netflix, Amazon Prime Video und Disney+ bewerten.
Um die UX quantitativ zu messen, haben wir den Fragebogen User Experience Questionnaire + (UEQ+) verwendet. Der UEQ+ ist die modulare Variante des UEQ Fragebogens und ermöglicht es aus mehreren Bewertungsskalen zu wählen. So kann die Umfrage besser an das jeweilige Produkt angepasst werden. Zu jeder Skala gibt es gegensätzliche Wortpaare, die das Nutzungserlebnis beschreiben (Bsp.: Kompliziert - Einfach).
Die Proband:innen wurden ausschließlich zu ihrem Erlebnis mit einem der drei Anbieter in Bezug auf die TV-Nutzung befragt. Somit spiegeln die Ergebnisse nur diese wider, Mobile- und PC-Nutzung sind nicht enthalten. Folgende fünf Skalen haben wir von über 60 Proband:innen bewerten lassen, je 20 Proband:innen pro Anbieter:
Der Bereich der Skalen liegt zwischen -3 (furchtbar schlecht) und +3 (extrem gut). Aufgrund der Berechnung von Mittelwerten über verschiedene Testpersonen mit unterschiedlichen Meinungen ist es äußerst unwahrscheinlich, Werte über +2 oder unter -2 zu beobachten.
Im folgenden Artikel beschreibe ich die Auswertung der Skala Steuerbarkeit. Am besten abgeschnitten hat hierin der Anbieter Amazon Prime Video. Warum ist das so? Dem gehe ich im folgenden auf den Grund.
Steuerbarkeit
“Nutzer:innen haben den Eindruck, dass sie die Interaktion steuern und stets die Kontrolle haben.”
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Bei häufiger Nutzung von Netflix wird eines schnell deutlich: Netflix versucht stets die Oberfläche und die angebotenen Interaktionen zu verbessern und testet daher viel aus. So kommt es etwa vor, dass die Auswahl der Sprache im Player von heute auf morgen ganz anders funktioniert. Steuerbarkeit und der Eindruck von Kontrolle (Sicherheit) bedeutet allerdings keine Überraschungen zu erleben. Häufige Feature-Wechsel können sich somit negativ auf die Benutzererfahrung auswirken.
Bei Betrachtung der angebotenen Inhalte fällt auf, dass Netflix eine Fülle an unterschiedlichen Filmen und Serien zeigt, die stark personalisiert sind. In unserem UX-Review haben wir festgestellt, dass die Reihenfolge der Coverlanes häufig wechselt. So befindet sich die Kategorie “Derzeit beliebt” nicht immer an der gleichen Stelle, je nachdem wie die Inhalte von Netflix gerade priorisiert werden. Dieser Wechsel ist ganz klar der Empfehlungslogik von Netflix zuzuschreiben. Für eine gute UX von VoD-Portalen wird seit Langem dafür plädiert, möglichst viel Abwechslung und Varianz anzubieten. Die Zuschauer:innen sollen mit immer neuen und unterschiedlichen Inhalten in der Anwendung gehalten werden.
Diese dominante Priorisierung kann allerdings auch dazu führen, dass die Benutzer ein geringes Gefühl von Kontrolle haben. Werden Inhalte häufig an anderen Stellen platziert und sind dadurch weniger schnell (erneut) auffindbar, führt dies zu Unsicherheit. Die Punkte “häufige Feature-Wechsel” und “Priorisierung der Inhalte” können also dazu beitragen, dass Netflix in den Skalen “Unberechenbar - Vorhersagbar” (1,45) und “Unsicher - Sicher” (1,32) relativ gesehen schlecht abschneidet.
Betrachten wir die Features, die sich auf den Account selbst beziehen, lassen sich eventuell auch die Werte der zwei anderen Skalen “Behindernd - Unterstützend” (1,27) und “Nicht erwartungskonform - Erwartungskonform” (1,50) erklären. Als Allererstes fällt auf, dass Netflix keine Komfort- bzw. Quick-Login Funktion anbietet. Die Nutzer:innen sind gezwungen, ihre Login Daten am TV über das Virtual Keyboard einzugeben. Mit der Fernbedienung ist dies aufwendig und lästig. Die Dienste Amazon Prime Video und Disney+ hingegen bieten den Login am TV über ihre Smartphone-App an. Dazu wird ein QR-Code am TV Bildschirm gescannt. Die Eingabe der Login-Daten nehmen Nutzer:innen auf dem Smartphone vor bzw. erfolgt der Login am TV automatisch, wenn sie auf dem Phone bereits eingeloggt sind.
Möchten Netflix Kund:innen Änderungen an ihren Account Settings vornehmen, so geht dies nur über den Desktop. Am TV besteht dazu keine Möglichkeit. Im Bereich Account Settings könnte Netflix auf dem TV somit unterstützender und erwartungskonformer werden.
Der Dienst Amazon Prime Video liefert im Punkt Steuerbarkeit gegenüber den Konkurrenten ein paar mehr Einstellungsmöglichkeiten. Neben den mittlerweile standardmäßigen Player-Featuren, bietet Amazon Prime Video die Möglichkeit, die Darstellung von Untertiteln sehr detailliert in Schriftgröße, -art und -farbe anzupassen. Zudem zeigt das Player UI Zusatzinformationen zu den jeweiligen Schauspielern an. Auf der Skala “Behindernd - Unterstützend” bringen solche unterstützenden Features möglicherweise einen positiven Ausschlag.
Bei den Skalen “Unberechenbar - Vorhersagbar” (1,65) und “Nicht erwartungskonform - Erwartungskonform” (1,70) liegt Amazon Prime Video jeweils im oberen Bereich. Diese positive Bewertung entsteht möglicherweise dadurch, dass Amazon Inhalt weniger personalisiert anbietet. Die Inhalte und Empfehlungen befinden sich im ein- wie im ausgeloggtem Zustand immer an der gleichen Stelle. Die Wiederauffindbarkeit von Inhalten schafft in diesem Fall ein Gefühl von Sicherheit und Erwartungskonformität.
Auf die Erwartungskonformität zahlt ebenso ein, dass Amazon Prime Video eine Quick-Login Funktion per QR-Code anbietet. Kein Benutzer möchte sich heute noch mit umständlicher Texteingabe über die TV-Fernbedienung aufhalten.
Der Dienst Disney+ schneidet zwar auch im positiven Bereich der Gesamtskala ab (1,23), im direkten Vergleich der drei Anbieter liegt er aber auf dem letzten Platz (Amazon Prime Video 1,68 | Netflix 1,39). In der Darstellung und Auffindbarkeit der Inhalte sind sich Amazon Prime Video und Disney+ sehr ähnlich. Auch bietet Disney+ die gleichen Player Features und eine Komfort-Login Funktion per QR-Code an. Woran liegt dann die vergleichsweise schlechtere Bewertung?
Ich habe die These, dass bei der Bewertung die bisherige Erfahrung und Vertrautheit mit einem Dienst mit einfließt. Da Disney+ in Deutschland erst seit Kurzem auf dem Markt ist, liegt diese deutlich niedriger als bei Amazon Prime Video. Um diese Hypothese zu verifizieren und um die anderen Schlussfolgerungen weiter zu analysieren, wären allerdings qualitative Auswertungen nötig.
Dieser Blogartikel ist ein Teil der Serie “Ein quantitativer Vergleich der User Experience von Netflix, Amazon Prime Video und Disney +”. Wenn dich interessiert wie die drei Anbieter bei den anderen vier Skalen abgeschnitten haben, verlinken wir hier die Artikel.
Die Bedeutung von visueller Ästhetik für UX
Wie durchschaubar muss ein VoD-Anbieter sein?
Wer weckt am meisten Vertrauen?
Weiterführende Links und Quellen:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/196642/umfrage/abonnenten-von-netflix-quartalszahlen/ - zuletzt aufgerufen am 24.06.2021
https://t3n.de/news/amazon-hat-weltweit-150-millionen-1247966/ - zuletzt aufgerufen am 24.06.2021
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1186805/umfrage/abonnenten-von-disney-plus/ - zuletzt aufgerufen am 24.06.2021