Ausbildung zum zertifizierten Usability Engineer am Fraunhofer Institut

Maximiliane Wagner

10.5.2013

Meistens geht die Theorie der Praxis voraus. In Bezug auf Usability Engineering lief es bei mir genau andersherum. Seit Ende 2011 arbeite ich bei coeno als Interaction Designer und habe bereits einige Methoden angewandt, die in der Schulung zum zertifizierten Usability Engineer am Fraunhofer Institut gelehrt werden. Viele meiner Kollegen haben die Schulung bereits absolviert und konnten mir so einen Teil ihres Wissens weitergeben. Das Verständnis für die größeren Zusammenhänge fehlte mir jedoch. So war es an der Zeit, dass auch ich mich Richtung Bonn aufmachte um die fünftägige Schulung mit abschließender Prüfung zu absolvieren. Und natürlich war ich gespannt, ob sich meine Erfahrungen aus der Praxis mit der Theorie decken würden…

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Am Montag Morgen fand ich mich zusammen mit 15 anderen Teilnehmern in Raum 311 im Fraunhofer Institut ein, wo bereits große Namenschilder für den Tisch, kleine zum Anstecken, Aktenordner mit Block, Kugelschreiber, Textmarker sowie eine große Auswahl an Getränken, Obst und Keksen bereitstanden. Auf die Begrüßung durch die Kursleiter Britta Hofmann und Peter Hunkirchen folgte eine kurze Vorstellungsrunde. Erstaunt stellte ich fest, dass ich die einzige aus einer Agentur, die einzige aus einer kleinen Firma, die einzige mit einem Designerhintergrund und auch fast die einzige aus der Unterhaltungsbranche war. Während ich also etwas von TV UIs und Smartphone-Apps erzähle, redeten die meisten anderen Teilnehmer von komplizierter Arbeitssoftware, dem Intranet großer Firmen und medizinischen Geräten, die bei schlechter Bedienbarkeit auch schnell mal Menschenleben kosten können. So erhielt Usability für mich noch bevor die Schulung richtig los ging eine ganz neue Dimension.

Überblick verschaffen

Die nächsten Stunden lernten wir Definitionen, Methoden und Prozessmodelle im Schnelldurchlauf kennen. Nach ISO 9241-11 ist Usability das Ausmaß, in dem ein Produkt von bestimmten Benutzern in einem bestimmten Kontext genutzt werden kann, um bestimmte Aufgaben effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erledigen. Teil 210 der ISO-Norm gibt sieben Dialogprinzipien vor, die helfen ein Produkt usable zu machen. Der Usability-Prozess ist iterativ und schließt eine Analyse des Kontextes, Ableitung von Erfordernissen und Nutzungsanforderungen, Erstellung des Designs und ein Testen mit ein. Es gibt verschiedenen Mess- und Prüfmethoden für Usability, bei denen Experten herangezogen werden können, noch besser aber echte Nutzer…

Allmählich gewannen wir einen Überblick über die Themengebiete, die im Laufe der Woche noch vertieft werden sollten. Das waren ganz schön viele Informationen, die aber durch Britta und Peter locker und abwechslungsreich vermittelt wurden. Zum Glück kannte ich vieles schon von der Arbeit, so dass ich mich am Abend nicht allzu erschlagen fühlte. Das war auch gut so, denn nun folgte noch der Kaminabend mit 3-Gänge-Menü und zwei Gastvorträgen von Usability-Beauftragten aus der Praxis.

Vertiefung und praktische Übungen

Die nächsten Tage dienten der Vertiefung und Einübung der Usability Prozessschritte, die wir bereits kennen gelernt hatten. So stand am Dienstag das Thema Benutzungstests auf dem Plan und wir durften das Test-Labor vom Fraunhofer Institut besichtigen und alte Eye-Tracking Geräte bestaunen. Dann probten wir erstmals das bereits Gelernte in der Praxis und identifizierten anhand eines aufgezeichneten Benutzungstests kritische Nutzungssituationen und besprachen, gegen welche Dialogprinzipien verstoßen wurde. Dabei wurde mir auch die Bedeutung von etwas abstrakt klingenden Dialogprinzipien wie Selbstbeschreibungsfähigkeit und Erwartungskonformität klar.

Es folgte der Tag mit dem kompliziertesten Thema, dem Ableiten von Erfordernissen und Nutzungsanforderungen aus Kontextszenarien. Darauf war ich besonders gespannt, da ich die Methode schon vielfach in der Arbeit angewandt hatte. Tatsächlich verstand ich die Theorie dahinter sehr schnell und auch das Ausformulieren in Praxis fiel mir deutlich leichter als anderen Teilnehmern.

Endspurt

Am Donnerstag ging es dann um Design. Wir hörten einen Vortrag über Informationsverarbeitung und Wahrnehmungspsychologie und erfuhren anschließend wie Moodboards, Personas und Affinity Diagrams bei der Erstellung von Design hilfreich sein können. Auch streiften wir die Themen Typografie, Fotografie, Icons, Infografiken und Farbwahl. Ich fühlte mich stark an mein Studium zum Mediendesigner erinnert.

In einer Gruppenübung sollten wir eine Alternative für einen bestehenden Screen entwerfen. Auch hier gab es amüsante Parallelen zu Gruppenarbeiten während dem Studium. So verzettelten wir uns in der Gruppe zunächst in einer Diskussion, zeichneten gleichzeitig verschiedene Lösungen auf, merkten dann, dass die Zeit davon lief und fingen fast panisch an, die verschiedenen Ansätze zusammenzustückeln um am Ende ein halbwegs verständliches Ergebnis präsentieren zu können. Trotzdem hat es viel Spaß gemacht und es war sehr interessant zu sehen, wie verschieden die Ergebnisse der einzelnen Gruppen waren. Die abschließende Erkenntnis war jedoch, dass es fast unmöglich ist innerhalb einer Stunde eine überzeugende Lösung zu erarbeiten.

Auch an diesem Tag folgte ein Kaminabend mit zwei Vorträgen, der allerdings früh endete, da alle erschöpft waren oder schon mal ein wenig für die Prüfung lernen wollten. Der Freitag stand ganz im Zeichen der Prüfungsvorbereitung und endete anders als sonst bereits am frühen Nachmittag. So blieb uns allen noch ein wenig Zeit zum Lernen.

Prüfung und Fazit

Die Prüfung am Samstag fand ich gut machbar. Zwar ist die Dauer mit fünf Stunden schon sehr lang und bei der Menge, die ich zu Papier brachte, verkrampfte schon mal der Arm, aber die Fragen zielten sehr genau auf das ab, was wir gelernt hatten. So konnte ich am Ende mit dem sicheren Gefühl nach Hause fahren, bald zertifizierter Usability Engineer zu sein. Und obwohl mir viele Inhalte aus der Praxis schon bekannt waren, hat es sich sicherlich gelohnt, die genaueren Hintergründe kennen zu lernen. Ich war positiv überrascht wie sehr das, was ich bisher im Arbeitsalltag getan habe, mit dem Gelernten übereinstimmte. In der Schulung werden also keine praxisfernen Theorien gelehrt, sondern Methoden, die sich direkt im Arbeitsalltag nutzen lassen.

Maximiliane Wagner

UX Konzepter & Usability Engineer

mw@coeno.com

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