Friss oder stirb: Für die TV-Branche spielen die Zuschauer kaum eine Rolle

Bettina Streit

10.6.2013

Jedenfalls war das mein Eindruck, als ich letzte Woche auf der ANGA (www.angacom.de) bei einem Panel zum Thema Content-Strategien für Smart Devices auf dem Podium saß. TV-Größen wie RTL, Axel Springer und Samsung verbreiteten dort vornehmlich Plattheiten. Und sie sagten letztlich nur das eine: „Wir bieten dem TV-Zuschauer das technisch machbare. Was er damit tut, ist seine Sache.“ Damit machen sie es sich zu einfach. Diese Haltung verhindert Innovation und nimmt den Kunden nicht ernst.

Das ärgert mich! Die TV-Branche hat offenbar nach wie vor wenig Interesse, bewusst und ernsthaft auf die Erwartungen des Nutzers einzugehen. Als UX-Experte staune ich über den blinden Glauben, das bloße Vorhandensein neuer Features wäre wichtiger als die Frage, ob der Zuschauer sie 1. wirklich braucht, 2. tatsächlich nutzen kann und 3. das dann auch mit Freude tut.

Ja sicher, smarte TV-Dienste sind gefragt, TV-Zuschauer wollen weiterführende Informationen, nutzen digitale Side-Dienste. Doch Fernsehen muss einfach bleiben. Ich will für ein paar Stunden entspannt genießen, eine schöne Zeit haben.

Fernsehen ist wie ein Restaurantbesuch. Der gute Gastronom weiß: Hat der Gast Arbeit mit dem Essen, hat der Koch seinen Job nicht erledigt. Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten zuerst aus 300+ Tomatensuppenrezepten Ihren Favoriten herausfiltern und bekämen das Ergebnis als Instantpulver mit einem gefüllten Wasserkocher gereicht. Das tun Sie sich doch kein zweites Mal an, oder? Genau das aber tun viel zu viele Smart-TV-Anbieter: Ihre Angebote und Systeme können theoretisch alles, irgendwie. Sie vergessen dabei völlig, dass für den Nutzer ein „irgendwie“ nicht in Frage kommt. Ist es kompliziert, zu zeitaufwändig, vergeht dem TV-Gast der Appetit – die Freude an der Nutzung bleibt auf der Strecke. Die Erwartungshaltung wird nicht erfüllt, das Ergebnis ist eine schlechte User Experience, die weitere Nutzung bleibt aus.

Einen Schritt zurück, bitte! Bei coeno beschäftigen wir uns mit der Gestaltung maximal nutzerfreundlicher UIs. Diese stellt aber nur einen kleinen Teil der Gesamt-UX dar. Und für den User zählt, was er letztendlich in die Hände bekommt: das ganze Smart-TV-Paket. Wenn er nicht einfach bekommt, was ihn interessiert, dann steigt der Nutzer aus und macht, was er schon kann.

Statt den User mit technisch Machbarem zu quälen, müssen wir uns mit seinen wirklichen Erwartungen beschäftigen. Welche Anforderungen stellt er an sein Gerät? Was erwartet er von smarten TV-Angeboten? Was will er eigentlich wirklich damit machen? Ich rate den Protagonisten der Branche daher dringend, einen Schritt zurück zu gehen und sich endlich mit ihren Kunden zu beschäftigen.

Die Zuschauer wissen nämlich ganz genau, was sie wollen: ein spannendes, aber entspanntes TV-Erlebnis. Sie wollen Zugang zu neuen Diensten, ja. Aber sie wollen keinen Stress.

Smart-TV kommt nicht aus den Startlöchern, solange die TV-Branche den Zuschauer nicht ernstnimmt und der Zuschauer die Smart-TV-Anwendungen als Last empfindet. Im Mittelpunkt steht der Mensch, und diesen müssen wir verstehen, um seine Berührungsängste in eine Freude an medialen Möglichkeiten zu verwandeln. Deshalb bauen wir bei coeno eine Anforderungsdatenbank auf. Wir erfassen die Erwartungen der User umfassend und detailgenau, um auf dieser Basis freudvolle Anwendungen zu entwickeln. Aufwändig? Und wie! Aber sinnvoll.

Weil nur zufriedene Nutzer treue Nutzer sind. Und weil der Mensch nur das benutzen mag, was zu nutzen auch Spaß macht.

Bettina Streit

Geschäftsführerin & Usability Engineer

bs@coeno.com

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