Angelika Zerbe

14.6.2019

Die Komplexität der Einfachheit #2

In meinem Blogartikel die Komplexität der Einfachheit – Teil 1 habe ich für die Wichtigkeit von Einfachheit argumentiert und damit gestartet die Prinzipien der Einfachheit aus John Maedas Buch The laws of Simplicity zu erläutern. Die ersten vier Prinzipien findest du dort. Hier geht es mit den restlichen sechs Prinzipien weiter.

Gegensätze

Einfachheit und Komplexität bedingen einander.

Ohne Komplexität wüssten wir nicht, was Einfachheit ist. Wir brauchen bei jedem Produkt oder Prozess einen Vergleich, nur dann können wir beurteilen, was einfacher für uns ist. Ist viel Komplexität im Umfeld vorhanden, sieht jeder das Einfache viel eher. Eine Folgerung daraus ist, dass man sich mit einer einfachen Strategie, von der ständig komplexer werdenden Technologie absetzen kann.

Ein Vergleich ist immer relativ und beeinflussbar. Die Auswahlmöglichkeiten sind ausschlaggebend dafür, wie der User etwas wahrnimmt. Sieh dir die Grafik in der linken Konstruktion unten an. Der dunkle Kreis sieht groß aus. Jetzt schau dir die rechte Konstruktion an. Hier erscheint der dunkle Kreis klein. Tatsächlich sind beide Kreise gleich groß!

Kontext

Das Umfeld von Einfachheit ist zweifellos nicht unbedeutend.

Wahrscheinlich kannst du am rechten Rand deines Browserfensters einen Scrollbalken sehen. Dieser hilft dir zu erkennen, wie viel du von diesem Blogartikel schon gelesen hast und wie viel noch folgen wird.

In einem gedruckten Buch erkennen wir den Fortschritt noch besser, indem wir uns die Dicke der gelesenen und der folgenden Seiten ansehen. Wie ist das bei einem E-Book? Möchte man dort auf jeder Seite einen Fortschrittsbalken sehen? Ein Herausgeber eines E-Readers muss sich entscheiden, wie viel Kontext er dem Nutzer bieten möchte. Natürlich könnte er immer prominent anzeigen lassen, auf welcher Seite der Nutzer sich befindet und wie viele noch vor ihm liegen. Manchmal sind unauffällige Hinweise allerdings besser für die Experience.

Beim Wandern stehen am Wegesrand oft Steinmänner, die uns die Richtung zeigen. Diese sind leicht zu übersehen und häufig nicht ganz eindeutig. Stattdessen derer wäre es auch möglich einen Weg weiser mit Pfeil und der Aufschrift: “Hier geht es lang“ aufzustellen. Wollen wir das? Nein, viele Wanderer wollen den Weg lieber selbst erkunden und ein gewisses Abenteuerfeeling erleben.

Als Konzepter ist man demnach im Zwiespalt, ob man dem User die maximale Sicherheit geben möchte oder lieber das spannende Gefühl etwas erkunden zu können.

Komplexität impliziert uns das Gefühl verloren gegangen zu sein. Einfachheit impliziert das Gefühl gefunden worden zu sein.

Emotion

Mehr Emotionen sind besser als weniger Emotionen.

Schnell und unkompliziert Nachrichten zu schreiben ist die Hauptanforderung an eine Chat Applikation. Deswegen ist es zunächst fragwürdig, dass wir dazu bereit sind Seiten von Smileys durchzublättern, um das richtige Icon zu finden! Das Textsmiley, welches erst 1982 erfunden worden ist, wird heute zwingend benötigt, damit wir unsere Emotionen besser in der Schriftsprache ausdrücken können. 🙂

Auch wenn es dem ersten Prinzip der Reduktion widerspricht, so sind manchmal ornamentale Elemente notwendig, um Emotionen einzubeziehen. Nach der Reduktion kann das Produkt auch kahl wirken.

Maedas Verwandtschaft hat ihm den Shintoismus nahegebracht. Das ist ein Glaube, der besagt, dass alle Gegenstände einen Geist haben. Diese Mystik der symbolischen Liebe kann auch auf technische Geräte übertragen werden. Bei Tamagotchis, die zwischenzeitlich wie echte Tiere gepflegt worden sind, hatte das 1996 super funktioniert.

Vertrauen

Wir vertrauen der Einfachheit.

Einem Navigationsgerät sagen viele Menschen nur noch, dass es einen nach Hause navigieren soll und es bringt die Person sicher dorthin. In naher Zukunft müssen wir vielleicht gar nicht mehr selbst fahren. Die Konzentration auf das Fahren wird dadurch weniger und wir gewinnen Zeit, weil man sich nicht mehr unnötig verfahren kann. Außerdem entsteht so eine zusätzliche Sicherheit und wir können etwas entspannen.

Bei vorausschauenden Systemen, die Arbeit abnehmen, kann allerdings auch ein Gefühl der Bevormundung entstehen. Zusätzlich kann Angst aufkommen, da man nie weiß, ob die Technik wirklich keine Fehler macht. Gerade bei neuen Technologien muss man abwägen, wie viel der User über das System wissen muss und wie viel das System über den User. Wir wissen schließlich nie, wem man vertrauen kann.

Habe ich gerade nach langer Suche ein Geschenk für jemanden gefunden, beschleichen mich oft Restzweifel, ob es wirklich das Richtige ist. Sicherheit erhalte ich dadurch, dass ich das Geschenk auch zurückgeben kann. Daraufhin kaufe ich leichter etwas.

Warum ist die Power etwas rückgängig machen zu können so groß? Wir müssen nicht in die eigene Aktion vertrauen! Offenheit schafft ebenso Vertrauen. Bei einer Open-Source-Software kann sich jeder den Code ansehen und für sich entscheiden, ob man sich auf das Programm verlassen kann.

Ein System kann uns nur dann eine funktionierende Hilfe sein, wenn wir ihm vertrauen. Wir können uns nur dann wirklich entspannen, wenn wir darauf vertrauen, dass wir in den besten Händen sind und mit den besten Absichten behandelt werden.

Fehlschläge

Manche Dinge können niemals einfach gemacht werden.

Maeda hat versucht einen Text zu vereinfachen. Dafür verwendete er viele Abkürzungen und Akronyme, um die Textmenge zu reduzieren. Anschließend konnte keiner mehr den Text vernünftig lesen. Fehlschläge gehören dazu im Prozess des Vereinfachens.

Zudem muss man sich damit abfinden, dass nicht alles einfach gemacht werden kann. Mit dieser Erkenntnis kann der Fokus direkt auf die lösbaren Probleme gelenkt werden.

Wir wollen auch nicht alles einfach! Komplexität kann schön sein. Dinge, die Spaß machen, dürfen komplex sein. Es gibt Bereiche, da ist die Komplexität das heutige Ideal. Ein einfacher Mensch kann von anderen als uninteressant oder sogar dumm empfunden werden.

Unmögliche Ziele in der Vereinfachung sollten wir nicht verfolgen und uns bewusst sein, dass Einfachheit nicht für alle Lebensbereiche gewünscht ist.

Die Eine

Einfachheit entsteht durch Fortlassen des Offensichtlichen und dem Hinzufügen von Bedeutungshaftem.

Das zehnte Prinzip ist eine Zusammenfassung von allen genannten Prinzipien, an das man sich immer halten kann und die Aufforderung weniger zu verwenden, um mehr zu erreichen!

Komplexer oder einfacher?

Viele Dinge, die heute technologisch gelöst werden, bedürfen keiner technologischen Lösung. So ist es beispielsweise oftmals besser einen Vortrag ohne begleitende Präsentation mit Laptop und Beamer zu halten. Hinterfragt man, ob die Dinge, die uns umgeben wirklich helfen, können wir unser eigenes Leben schnell einfacher machen. Auch digitale Produkte sollten wir daraufhin hinterfragen und überprüfen, ob die Prinzipien von Maeda bedacht worden sind.

Angelika Zerbe

UX Konzepter & NN/g UX zertifiziert

az@coeno.com

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